Pflege bei schwerem ME(cfs) - Myalgische Enzephalomyelitis
Die besondere ambulante Versorgungslage von ME-Schwersterkrankten
ME im schwersten Stadium (und ME kann u.a. die schwerste Form von PostCovid darstellen) bedeutet – das Toilettengänge nicht mehr möglich sind, dass die Kraft zum Kauen oder Schlucken kaum mehr vorhanden ist –und oft künstlich ernährt werden muss.
Es bedeutet maximal herabgesetzte Reizverarbeitung auch gegenüber Geräuschen, Licht und auch Berührung. Oft fehlt die Kraft, die Augen offen zu halten oder zu sprechen. So dass die Kommunikationsmöglichkeiten auf ein Mindestmaß (teils auch über Zeichen) reduziert ist.
Damit umzugehen ist für Pflegende nicht einfach und erfordert grundlegende Kenntnisse zur reizarmen Pflege mit Rücksicht auf Pots, PEM und PENE, bei der Unterstützung von schwer an ME-Erkrankten.
Es erfordert im besten Falle auch eine entsprechende Wohnumgebung und sollte aus meiner Sicht auch frei von toxischen Stoffen in der Innenraumluft sein, da die Entgiftungsfähigkeit auch herabgesetzt sein wird, zumindest besteht oft auch eine starke Geruchssensibilität und die Überprüfung ob Strahlungssensibilität vorliegt könnte ein weiterer wichtiger Faktor sein.
Weiter unten im Artikel beschreibe ich die jeweiligen mir bekannten Möglichkeiten, um die Pflege von Schwerst an ME-Erkrankten zu organisieren.
Dem Vorab:
Im Jahre 2018 wurde vom BGM eine Charta herausgegeben mit dem Namen:
„Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“ (Dem vorausgegangen bereits wiederum einige „runde Tische“ beginnend 2003)
Auf der einen Seite müssen selbstverständliche Dinge wie die „Würde des Menschen ist unantastbar“ offenbar jahrelang recherchiert werden und gilt anscheinend nicht selbstredend für alle Menschen.
In dieser Charta steht einiges…was bis heute oft bei geriatrischen Patienten und fast flächendeckend bei ME-Erkrankten nicht umgesetzt wird!
So steht dort u.a.:
Die zu Pflegenden haben das Recht, dass Ihr Wille und Ihre Entscheidungen beachtet werden sowie auf Fürsprache und Unterstützung.
Artikel 2: Körperliche und seelische Unversehrtheit, Freiheit und Sicherheit.
…“Niemand darf Sie gegen Ihren Willen pflegen oder behandeln. Niemand darf Sie grob anfassen,…. Auch darf niemand Sie herabsetzen, beleidigen, Ihnen drohen oder Sie missachten.“
Sie haben das Recht auf eine:
fachlich kompetente und zugewandte Pflege, Betreuung und Behandlung.
Sie können erwarten, dass:
das für Sie eingesetzte Personal die notwendige Qualifikation aufweist,
…und die Maßnahmen müssen dem aktuellen Stand medizinischer und pflegerischer entsprechen
Dazu kommen gesetzlichen Grundlagen:
wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Unantastbarkeit der Würde des Menschen – sowie wie das Recht auf Teilhabe, auf Selbstbestimmung, auf Vorrang häuslicher Pflege, Aufklärung und Beratung – sowie aus dem Sozialrecht auf individualisierte Leistungen und das Benachteiligungs-und Diskriminierungsverbot.
https://www.bmfsfj.de/charta-der-rechte-hilfe-und-pflegebeduerftiger-menschen-data.pdf
Herkömmlich praktizierte „Pflege“ im Minutentackt mit unterschiedlichen Pflegekräften zu unterschiedlichen Zeiten dazu noch ohne Wissen zu ME… ist für schwerst an ME-Erkrankte aufgrund der Krankheitssymptomatik jedoch gar nicht möglich.
In der Realität übernehmen das dann (so vorhanden) Angehörige so gut es irgend geht - viele müssen dann auch ihre Arbeit aufgeben und stehen selbst vor Existenzängsten und Überforderung.
- Von Außen gibt es hier leider bisher wenig Unterstützung, Beratung oder Aufklärung, von daher hier ein paar Eckpunkte die hoffentlich weiter helfen mögen.
Inzwischen gibt es von Seiten des Gesetzes theoretisch unterschiedlich Möglichkeiten hier noch Unterstützung zu erfahren.
Im Rahmen der sogenannten Long-Covid Richtlinie der G-BA (und eine Richtlinie steht über einer med. Leitlinie) über "die Versorgung von Patienten mit Post & Long COVID und Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik" (eingeschlossen ME-Erkrankte unterschiedlicher Ursache + vorpandemisch)
So in der LC-G-BA Richtlinie unter § 8 - Verordnung weiterer Leistungen u.a.:
Häusliche Krankenpflege und außerklinische Intensivpflege, sowie Verordnung von SAPV
(Übrigens auch Hilfsmittel)
https://www.g-ba.de/downloads/62-492-3451/LongCOV-RL_2023-12-21_iK-2024-05-09.pdf
In der Palliativen Versorgung gibt es u.a.:
- Die AAPV – Allgemeine ambulante Palliativversorgung
- Die SAPV – Spezialisierte ambulante Palliativversorgung
Mit Unterschieden in der Anspruchsberechtigung, in den Leistungen sowie in der Länge der Gewährung, abgesehen von den Hürden der Beantragung oder Begutachtungen.
Wenn die Kenntnisse zu ME fehlen…hat das weitreichende schwerwiegende Folgen für die Patienten wie für ihre Familien
Ich muss es hier einmal so deutlich niederschreiben; es geht hier n i c h t um Befindlichkeiten!
Immer wieder kommt es vor, dass durch inadäquate oder nicht vorhandener Pflege Schwerst-Erkrankte ihren letzten „Ausweg“ suchen und auch vollenden!
Prävention wäre hier:
- Die Erkrankung ME endlich adäquat im medizinischen System zu berücksichtigen – Fehldiagnosen und daraus folgende Fehl-oder unterlassen Behandlungen endlich zu unterlassen!
- Den Familien und Betroffenen passende Anlauf-und Beratungsstellen zu nennen, die sie im Aufbau einer Versorgungsstruktur unterstützen können
- Endlich in der Pflege, beim Grad der Behinderung, in den Begutachtungen ME - Myalgische Enzephalomyelitis und PostCovid abzubilden
- Und noch nicht ganz so schwer Erkrankte nicht durch eigentlich kontrainduzierte Rehaprogramme weiter auf der „Bellskala“ nach oben zu treiben!
Es gibt also inzwischen auch palliativen Unterstützungsmöglichkeiten für ME Schwerst-Erkrankte; aber inwieweit ist das bei den Ärzten und Begutachtern bekannt?!
Die SAPV - spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) ist eine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen. Sie soll (eigentlich) dabei helfen, schwerkranken Menschen ein menschenwürdiges Leben bis zum Tod zu ermöglichen.
So die Kassenärztliche Vereinigung- https://www.kbv.de/html/sapv.php
Das Problem für ME-Erkrankte:
- Ja – sie ist eine weit fortgeschrittene Erkrankung…aber medizinisch gesehen (und da die Anerkennung zu ME noch fehlt) allerdings mit "unklarer Lebenserwartung" und
- Ja sie braucht wiederum eine besonders aufwändige Versorgung – aber anders…als mit anderen Schwersterkrankten.
Dazu kommt: - Seit der G-BA Richtlinie ist der Hausarzt die Koordinationsstelle für fast alles…- und Hausärzte die ME nicht kennen oder fehldiagnostizieren – sind ja leider noch in der Überzahl – mit leider heftigen Folgen für die Betroffenen und ihren Familien.
Und
- Wissen die Palliativdienste und behandelnden Ärzte, dass die Versorgung von Schwerst-ME-Erkrankte auch Teil der SABV sein kann?
Inhalte der SAPV sind z.B.:
Koordination der palliativmedizinischen und -pflegerischen Versorgung unter Einbeziehung aller Symptomlinderung + Krisenintervention u.w.
https://www.betanet.de/spezialisierte-ambulante-palliativversorgung-sapv.html
Für die „direkte“ Pflege oder Versorgung gibt es auch noch die AAPV -ambulante Palliativpflege (kann soweit ich weiß vom Arzt verschrieben werden)
- AAPV – Allgemeine ambulante Palliativversorgung
In der Palliativpflege (die der Hausarzt verordnen kann) steht vor Allem mehr Zeit zur Verfügung als zur regulären ambulanten Pflege.
So ist es eher möglich:
- Individueller sich auf die zu pflegende Person einzustellen
- Anpassung an die jeweilige Tagesform
- Reizarme Pflege oder Kontakt zu ermöglichen
- Weniger unterschiedliche Pflegekräfte
Dazu kommt:
Einbeziehung der Angehörigen und es besteht eine 24-stündige Rufbereitschaft.
UNTERSCHIED AAPV VS. SAPV
Fokus SAPV liegt auf der medizinischen Versorgung, starker schwer einstellbarer Symptome.
Die Grundpflege übernimmt wiederum dann die AAPV
Die Säulen der Palliativmedizin im Allgemeinen sind:
Schmerztherapie, Symptomkontrolle, Erhaltung der persönlichen Autonomie, Respektierung des Patientenwillens sowie optimale Pflege und Betreuung.
Das aber erleben bisher die wenigsten Schwer-an-ME-Erkrankten.
Daher Danke an alle Angehörigen und Partner*innen…die hier unglaubliches leisten – meist ohne weitere Unterstützung!
- Es braucht dringend die Aufklärung, dass auch Schwererkrankte mit ME(cfs), auch palliative Versorgung erhalten können!
Zur Umsetzung der Pflege und Versorgung Schwerst an ME-Erkrankter braucht es das Wissen der Ärzte entsprechende Unterstützung zu verordnen und Pflegekräfte mit Kenntnissen um die besondere Situation der Schwer an ME-Erkrankten im Sinne einer reizarmen Pflege.
Daher hier erste Hinweise/ Hilfestellungen und Informationen zur Pflege von schwerst an ME-Erkrankte:
- Bei der Deutschen Gesellschaft ME-CFS finden sich wichtige Informationen für die Versorgung von Patient*innen mit schwerer oder sehr schwerer Myalgischer Enzephalomyelitis
https://www.mecfs.de/wp-content/uploads/2023/04/230411_Journal-Uebersetzung_Freigabe.pdf - Angehörige, Unterstützer*innen sowie Pflegekräfte erhalten bei der Sozialeinrichtung Sozialhummel fachliche Informationen zur Pflege von #severeme https://sozialhummel.de/mecfs/
Abgesehen von der Pflege selbst gibt es hier auch weitere wichtige Hinweise in Sachen persönlicher Assistenz und Eingliederungshilfe - Bei der Schweizer Gesellschaft zeigt ein Schweregradrechner gut auf um was bei ME eigentlich geht: (kann auch gut sein als Formulierungshilfen bei Anträgen wie Pflegeantrag oder evt. beim GdB). Genaue Unterteilung in körperliche Grundfunktionen und mögl. Zeitfenster
https://sgme.ch/funcap
- Weitere wichtige Hinweise aus der realen Erfahrungswelt von den Betroffenen und ihren Angehörigen selbst; hier zeigt sich die harte Realität von ME u.a. Pflegeunterlagen By Linda & Greg Crowhurs
https://shadowlifesme.wixsite.com/website/post/tipps-rige-und-pflegepersonen-von-schwer-und-sehr-schwer-me-cfs-betroffenen - Sowie die Autorin Birte Viermann von dem Buch „Liebesilja“ – sie gibt hier Einblicke und Erfahrung in die Pflege ihrer (verst.) Schwester mit schwerstem ME
https://birte-viermann.de/me-1.01/ - Beim Bundesverband Fatigatio e.V. gibt es in ihrer Broschüre zur Pflege bei Belastungsintoleranz am Beispiel von Myalgischer Enzephalomyelitis jeweils auch mit Informationen zur Antragsstellung.
https://shop.fatigatio.de/products/3-31_1
- Eindrückliche Einblicke in den Alltag schwerst an ME-Erkrankter gibt es in der Doku (die auch auf ARTE gesendet wurde) der selbst Erkrankten Regisseurin Sibylle Dahrendorf „Chronisch krank – Chronisch ignoriert“. (Auch hier ist eine Mitwirkende bereits nicht mehr am Leben)
https://www.youtube.com/watch?v=YnnDSHPaAsY - Sowie die eindrückliche Geschichte einer (auch jungen) ME Schwerst-Betroffenen (inzwischen auch verstorben) – eine Kurzfilm der vormals betreuenden Sozialeinrichtung „Sozialhummel“
https://www.youtube.com/watch?v=AvAufK7vv44
- Und Einblicke von Schwerstbetroffenen selbst (Übrigens gibt es bei ME sehr viele Jungerkrankte also Jung zu Pflegende):
https://shadowlifesme.wixsite.comB6rige-und-pflegepersonen-von-schwer-und-sehr-schwer-me-cfs-betroffenen
Das mitzuerleben, hat die Mitarbeiter*innen der Einrichtung derart geprägt, dass sie inzwischen Selbst ME-CFS Sprechstunden anbieten für Angehörige wie auch für Pflege-oder medizinische Kräfte – wie „Reizarme“ Pflege gehen kann.
Eine weitere Möglichkeit in der Unterstützung kann auch persönliche Assistenz sein – diese Unterstützung ist wiederum Teil der Eingliederungshilfe.
- Mehr Informationen dazu auch bei Sozialhummel – in ihren monatlichen Online-ME-Sprechstunden.
👉 𝗪𝗲𝗶𝘁𝗲𝗿𝗲 𝗜𝗻𝗳𝗼𝘀 & 𝗔𝗻𝗺𝗲𝗹𝗱𝘂𝗻𝗴: www.sozialhummel.de/mecfs
👉Auch eine deutschlandweite Haushaltshilfenagentur hat sich der schwierigen Situation haus-und/oder bettgebundenen ME-Erkrankten angenommen.
U.a. auch abzurechnen mit dem Entlastungsbetrag ab dem ersten Pflegegrad: https://www.agentur-fuer-haushaltshilfe.de/me-cfs/
👉Möglicherweise sind auch weitere lokale Angebot vor Ort in den Selbsthilfegruppen zu erfahren - wie Beispielsweise das Pacing-Team in Freiburg https://pacingteamfreiburg.de/
Derzeit (2025) scheint die Thematik, der bisher ungeklärten ambulanten Versorgung (Schwerst) ME-Erkrankter teilweise zuzunehmen…– und hoffentlich damit auch das Wissen und den Ausbau von passenden Strukturen.
Hier einige Beispiele in Sachen Versorgungsforschung von Schwerst an ME-Erkrankten
ACCESS - ein Forschungsprojekt der Medizinischen Hochschule Hannover. Es richtet sich an Menschen mit Post-COVID- und ME/CFS anderer Ursachen. Ziel ist es, durch Hausbesuche die medizinische Versorgung von Schwersterkrankten zu verbessern.
https://www.mhh.de/presse-news/studie-access-hilfe-fuer-eine-unterversorgte-patientengruppe
Bei der PAIS Care Berlin Studie – https://pcn.charite.de/ geht es auch um die ambulante Versorgung ME-Erkrankter (allerdings nur für Berlin)
Und auch in Österreich werden für das "(Very) severe ME/CFS" Projekt der MedUni Wien in Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft noch professionelles Pflege(fach)personal (DGKP, PFA) gesucht, das (sehr) schwere ME/CFS-Betroffene betreut hat und von ihren Erfahrungen damit berichten würde.
Für die Betroffenen und ihre Familien selbst ist es schwierig auf Ergebnisse der teilweise auch nur regionalen Versorgungsforschung zu warten. Geschweige denn bis zu deren Umsetzung!
Das Wissen, was es braucht und was es nicht braucht...ist eigentlich längst in den zahllosen Konzepten der langjährigen und neuen Patientenvereine zu finden - inzwischen in Kooperation mit Ärzten und Ärztinnen - die sich über ihre Arbeit hinaus auf in der Öffentlichkeitsarbeit für ihre Patienten einsetzen!
Daher hier nochmal die Erinnerung und im stillen respektvollen Gedenken - an all jene die durch Unter-und Fehlversorgung nicht mehr am Leben sind...oder dieses Leben und Leiden - ohne Anerkennung und Unterstützung nicht mehr tragen konnten! Die Mit-Verantwortung in der Geschichte der Medizin am oft unnötigen Leiden der ME-Erkrankten - wird nicht unerheblich sein! Genauso wie der quasi Ausschluss von medizinischer und sozialer Teilhabe - sich nicht erklären lässt!
Der ganze Umgang seit Jahrzehnten und selbst jetzt noch, nach der Pandemie und der Zunahme so vieler Neuerkrankter (ME= u.a. die schwerste Form von PostCovid) widerspricht völlig dem palliativen Gedanken...und entbehrt jeglicher Ethik das machen die "Worten aus der "Charta der Rechte hilfe-und pflegbedürftiger Menschen" - Bundesgesundheitsministerium 2018" in dem Falle nicht besser sondern schlimmer...
Schaubild Text:
…Jeder Mensch hat uneingeschränkten Anspruch darauf, dass seine Würde und Einzigartigkeit respektiert werden.
Menschen, die Hilfe und Pflege benötigen, haben die gleichen Rechte wie alle anderen Menschen.
Sie dürfen in ihrer besonderen Lebenssituation in keinster Weise benachteiligt werden.
Da sie sich häufig nicht selbst vertreten können, tragen Staat und Gesellschaft eine besondere Verantwortung für den Schutz ihrer Würde.
Wann wird diese Verantwortung zum besonderen Schutz und Würde auch für ME-Erkrankte umgesetzt?!