Medizinische Lei(d)tlinien und ME
Die Ausbildung der Ärzte, ihre Vorgaben und Vorstellungen, ihre Grundhaltung gegenüber dem Patienten, ist mit Richtungsweisend für die Biografien von Betroffenen mit ME-CFS
Die neue deutsche Fassung der ICD für 2023 ist veröffentlicht!
Unter G93.3 wird die Übersetzung "Chronisches Müdigkeitssyndrom" zu "Chronisches Fatigue-Syndrom" angepasst. Die bagatellisierende und irreführende Bezeichnung "Chronisches Müdigkeitssyndrom" gehört damit der Vergangenheit an. Dies geht auf einen Antrag der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS gemeinsam mit ihrem Ärztlichen Beirat zurück.
Alle Infos dazu hier unter:
www.mecfs.de/neue-deutsche-fassung-icd-10/
www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-gm/kode-suche/htmlgm2023/block-g90-g99.htm#G93
Version ab 2023:
G93.3 Chronisches Fatigue-Syndrom [Chronic fatigue syndrome]
Chronisches Fatigue-Syndrom bei Immundysfunktion
Myalgische Enzephalomyelitis
Postvirales (chronisches) Müdigkeitssyndrom (hier wurde der Begriff, trotz anderweitigem Antrag noch erhalten)
- Somit wäre die Frage, warum es nach wie vor keine eigene Leitlinie zu ME/CFS gibt?!
Bis das soweit ist, gibt es nun zumindest eine überarbeitete Müdigkeitsleitlinie. Nach wie vor erstellt von Fachgesellschaften, bei denen man sich frägt, ob sie wirklich prädestiniert sind für eine postvirale multisystemische Erkrankung richtungsweisend sein zu wollen. Darunter zu finden u.a.:
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin, Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung, Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde…(kein Immunologe, kein Virologe, kein Pneumologe…wie in den Leitlinien für LongCovid))
https://register.awmf.org/assets/guidelines/053-002l_S3_Muedigkeit_2023-01_01.pdf
Die Patientenvereine und auch Koryphäen wie Frau Prof. Dr. Scheibenbogen und Frau Prof. Behrends u.a. mussten massiv darauf einwirken, dass der Unterpunkt ME/CFS zumindest, im Gegensatz zur Vorgängerversion (von 2017) angepasste wissenschaftliche Erkenntnisse, enthält.
Unter dem Kapitel 5.7 der Leitlinie Müdigkeit wird ME/CFS behandelt
https://www.mecfs.de/leitlinie-muedigkeit-2022
https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/053-002
Erstmals tauchen hier Kernsymptomatiken von ME/CFS wie Pots, PEM usw. auf und es wird darauf hingewiesen, dass bei ME/CFS und auch bei Verdacht auf ME/CFS - aktivierende Maßnahmen nicht angewendet werden sollen!
- Bleibt die Frage...welcher (Haus) Arzt kennt sich mit ME/CFS aus...oder hegt gar einen "Verdacht"?!
Auch neu (2022) …bei ME/CFS soll keine körperliche Aktivierung auf Basis des Dekonditionierungskonzept angeboten werden…Zu beachten ist die Belastungsintoleranz mit unterschiedlicher Latenz!
…wenn man jetzt mal diesen Müdigkeitsbegriff noch als irgendwann veralteten Begriff – der massiven Entkräftung/Fatigue – stehen lässt, ist doch schon erstaunlich, dass durchaus bekannt ist, dass infektassoziierte und postinfektiöse „Müdigkeit“ bekannt ist und hier genauer benannt durch:
EBV, Influenza, Ross-River-Virus, Dengue Fieber, Q-Fieber, Rift-Valley-Fieber, Gardia-Infektion u.a.
Dazu wird sogar noch der Reizdarm erwähnt. Genauso wie auf die eingeschränkte Lebensqualität hingewiesen wird – auch im Sinne einer stark reduzierten Möglichkeit der Alltagsbewältigung). (Punkt 4.2.10)
Dazu natürlich noch inzwischen auch der SARS-COV Virus – für den der wissenschaftliche Prozess als dynamisch gesehen wird – mit immer neuen Erkenntnissen…aber was ist mit all den anderen ME/CFS Betroffenen seit Jahrzehnten? Gibt es da „postinfektiöse“ Reaktionen erster und zweiter Klasse?! Und was soll der Satz….“seelische Störungen“ erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer postinfektiösen Erkrankung?!
Die Überarbeitung der "Müdigkeitsleitlinie" begann im August 2020. Die Patientenorganisationen Fatigatio e. V. Bundesverband ME/CFS, Deutsche Gesellschaft für ME/CFS und Lost Voices Stiftung nahmen als Patientenvertretung am Leitlinienprozess teil – in Form einer Arbeitsgruppe und reichten in den zwei Jahre lang kontinuierlich gemeinsam ausgearbeitete Schreiben, Kommentare und Literatur zu den Entwürfen der Leitlinie ein.
- Das Leitsymptom Post-Exertional Malaise steht nun im Mittelpunkt des neuen Kapitels 5.7 zu ME/CFS. Post-Exertional Malaise (kurz: PEM) ist die Verschlechterung der Symptomatik nach geringfügiger körperlicher und/oder geistiger Anstrengung (Belastungsintoleranz).
So wird auf Pacing verwiesen oder zur weiterführenden Diagnostik auch auf die Kanadischen Konsensuskriterien
Weiterhin wird auf die Schweregrade verwiesen von moderat bis hin zur Pflegebedürftigkeit und künstlichen Ernährung.
Die Empfehlungen orientieren sich an der britischen ME/CFS NICE-Leitlinie , die nach über 4 jähriger Bearbeitung im Herbst 2021 veröffentlicht wurde.
Also positiv für die Betroffenen zu sehen ist:
dass keine aktivierenden Therapien mehr angeboten werden dürfen bei ME/CFS oder Verdacht auf ME/CFS.
Auch der Anamnesebogen wurde erweitert um etwas mehr Möglichkeiten zu schaffen
In der Empfehlung 5.1.4 wurde die Post-Exertional Malaise (PEM) als verpflichtende Anamnesefrage bei ungeklärter Müdigkeit aufgenommen. (PEM - Zustandsverschlechterung nach Belastung, das kann schon das Sitzen, Gehen, Sprechen oder Reizüberflutung durch Geräusche oder Licht sein)
Und weiter soll:
„Bei mindestens seit 3 Monaten anhaltender bisher ungeklärter Müdigkeit die ME/CFS-Kriterien nach Institute of Medicine (IOM) eruiert werden, um eine Verdachtsdiagnose zu stellen, die nach 6 Monaten zu reevaluieren wäre.“
Jedoch:
Weiterhin gibt es problematische Stellen in der Leitlinie, so wurde kurz vor Ende ein „Sondervotum durch die Fachgesellschaften durchgesetzt…auf Seite 163 folgende:
…“so könne das Etikett ME lt. Sondervotum durch den „Nocebo“-Effekt negative Auswirkungen auf die Beschwerden von ME/CFS-Kranken haben (!)
….im Sinne von „negativer Erwartungen mit entsprechenden Auswirkungen auf die Beschwerden…“ (?!?)
Hier verweisen die Pat. Vereine im Report: In diesem Punkt muss von einem erheblichem Schädigungspotential ausgegangen werden. Alle aktuellen Empfehlungen zum Management von ME/CFS enthalten das sog. „Pacing“ als wichtige Maßnahme, um eine Verschlechterung der Erkrankung zu verhindern. Dieses ist jedoch nur möglich, wenn Patient:innen über die Erkrankung und deren Folgen aufgeklärt sind.
Mehr dazu im Leitlinienreport ab S. 163, Kapitel 4.3.
- Das führte zu der absurden Situation, dass innerhalb der Leitlinie sich selbst widersprochen wurde. (Und erinnert an die Vorgängervision…in der bereits die Hinweise der Pat. Vereine vehement zurückgewiesen wurden…)
Und so:
- hält leider dieses "Tauziehen" - das permanente Verschlechterungen der Betroffenen, weitere Stigmatisierung, fehlende oder falsche Behandlungen weiter in Kauf genommen werden und so werden schwer erkrankte Menschen weiter in Pflege und Schwerbehinderung getrieben,...wie zum Beispiel am IGWig Projekt zu sehen ist/war...
Denn auch hier mussten die Patientenvereine mit ihrer Expertise massiv intervenieren – um im Gegensatz zum Vorbericht (Nov.22) zumindest noch darauf hinzuweisen:
"Dass ein möglichen Gefahrenpotenzial von Aktivierung nicht ausgeschlossen werden kann" Auch die Schwere der Verläufe wurde thematisiert, PEM - Zustandsverschlechterung nach geringfügiger Belastung - Postexertional Malaise ausführlicher erläutert und auf die besondere Situation von Kindern- und Jugendlichen verwiesen - siehe ausführlicher hier: lebenszeit-cfs.de/me-cfs-politik.IGWIGundGesundheitsportale des Bundes
Mehr dazu bei der deutschen Gesellschaft für ME/CFS: https://www.mecfs.de/statement-zum-me-cfs-abschlussbericht-des-iqwig
Also - sehr viel ist bei den Betroffenen bisher noch nicht angekommen - was in der EU-Resolution vor Jahren gefordert wurde! (Und...alles was bisher erreicht wurde...nur durch wirklich zähes Ringen und Dranbleiben der PatientenInitiativen, der aktiven Ärztinnen und dem ein oder anderen politischen Unterstützer - wobei das Thema bei der Opposition immer beliebter erscheint als bei der jeweiligen Regierungspartei!)
Und das trotz der massiven Zunahme von Betroffenen - "Nichtgenesenen" seit der Pandemie!
Und die Aufnahme im November 2021 von ME/CFS im Koalitionsvertrag.
www.mecfs.de/koalitionsvertrag...Im Koalitionsvertrag stehen wichtige Schritte zur Verbesserung (zum Ausbau) einer Versorgungsstruktur von ME-CFS und Long-Covid. Unter der Überschrift: Öffentlicher Gesundheitsdienst steht u.a.:
"Zur weiteren Erforschung und Sicherstellung einer bedarfsgerechten Versorgung rund um die Langzeitfolgen von
Covid19 sowie für das chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS) schaffen wir ein deutschlandweites
Netzwerk von Kompetenzzentren und interdisziplinären Ambulanzen."
www.tagesspiegel.de/politik/ampel-steht-der-koalitionsvertrag-2021-als-pdf-zum-download/27829980.html
Zumindest gab es am 19.1.23 eine Debatte dazu im Bundestag - die einstimmig das Thema wiederum an den Gesundheitssauschuss überwiesen hat, - allerdings kam es hier bisher noch nicht weiter, da weiterhin ein überparteilicher Konsens noch immer fehlt!
Und auch die hochgezeichnete Petition von #SignforMECFS mit an die 100.000 Stimmen von 2021 (Sie kam übrigens erst nach einem Widerspruch zum tragen – primär sollte sie abgelehnt werden) wurde zwar im September 2023 an die Bundesregierung überwiesen – nachdem sie die vorangegangenen Abläufe durchlaufen hat - aber...mehr geschah inzwischen leider auch nicht!
Alles Aktuelle dazu unter: Petition:signformecfs.de/Aktuelles
Übrigens haben medizinische Leitlinien eine Art „Abstufung“
S1-Leitlinie = Empfehlungen auf der Basis eines informellen Konsens
S2k-Leitlinie = Empfehlungen auf der Basis eines strukturierten Konsens
S2e-Leitlinie =Empfehlungen auf der Basis einer systematischen Recherche, Auswahl und Bewertung wissenschaftlicher Belege ("Evidenz")
S3-Leitlinie = Empfehlungen auf der Basis von Evidenz und strukturiertem Konsens
https://flexikon.doccheck.com/de/Leitlinie
Die „Müdigkeitsleitlinie“ mit dem Unterpunkt ME-CFS ist eine S3 Leitlinie also „Evidenz und Konsens“ (!?)
Die Post-LongCovidleitlinie ist eine S1 Leitlinie (also eine Empfehlung durch Konsens) (sie wird im Moment jährlich überarbeitet)
In allen Leitlinien „sickert“ Hilfreiches aber auch kontroverses zu ME ein…vielleicht und hoffentlich zumindest ein Beginn…für irgendwann mehr Klarheit – damit ME eine Erkrankung mit einem Konsens ist…wie bei Parkinson, MS oder Krebs, samt vorhandener Versorgungs-und Anerkennungsstrukturen.
Es bleibt zu hoffen, dass es:
- immer schwieriger für die Ärzte wird- ME-CFS zu ignorieren oder sich damit zu beschäftigen. Dieses Signal der neuen Bundesregierung wird hoffentlich auch auf die Ärztekammern wirken - endlich Fort-und Weiterbildungen zu aktivieren - und auch die Länderregierungen in Bewegung bringen!
Immerhin gibt es immer wieder neue Forschungsprojekte, wie z.Bsp.:
- Das ME/CFS Forschungsprojekt (Beginn Jan. 24) zu Biomarkern und Krankheitsmechanismen an der Charité, gefördert durch ME/CFS Research Foundation
https://mecfs-research.org/researchfunding-charite
Und auch die im Oktober 2021 veröffentlichte NICE Guidline brachte „neuen Schwung“ – sie ist auch deshalb so wichtig, weil sie als wissenschaftliche Literatur von alle folgenden Leitlinien und Richtlinien nicht einfach umgangen werden kann!
Hier zusammengefasst Beiträge vom ME-CFS-Portal:
www.me-cfs.net/aktuelles/sammelbeitrag-zur-veroeffentlichung-der-neuen-britischen-me-cfs-leitlinie
Wichtige Eckpunkte der britischen Leitlinie:
- Es wird nicht mehr auf die Aktivierungstherapien verwiesen, stattdessen auf Pacing. Verhaltenstherapie lediglich unterstützend, nicht kurativ. Als Hauptmerkmal wird die Post-Exertional Malaise benannt.
- Zudem wird auf neurokognitive Symptome wie Orthostatische Intoleranz (OI) hingewiesen.
- Die Leitlinie thematisiert ausdrücklich auch das schwere Stadium von ME und die Situation von Kindern und Jugendlichen.
- Weiterhin wird auch auf die schwierige Situation der ME/CFS Betroffenen verwiesen im Rahmen von Stigmatisierung, fehlendes - auch medizinisches - Unterstützungsnetz genauso wie bei der Berücksichtigung der Rente…Behinderung oder Genehmigung von Hilfsmitteln usw.
Bis es eine eigene Leitlinie zu ME/CFS gibt...sind andere Leitlinien leider maßgebend für Ärzte (und wenn man bedenkt, dass ME/CFS schon seit 1969 bei der WHO aufgeführt ist und es Long-Covid erst seit ca. 2020 gibt..dafür aber schnellstens eine eigene Leitlinie mit unterschiedlichen Fachgesellschaften gab:
Auffallend hier: Unterschiedlichste Fachrichtungen beschäftigen sich mit dem Thema:
Von Pneumologie, Kardiologie, Gastroenterologie, Infektiologie, Deutsche Schmerzgesellschaft, Immunologie, um nur ein paar zu benennen.
Das zeigt zum einen:
Es ist angekommen, dass es sich um eine multiorganische Erkrankung handelt!
Zum Anderen:
Man will jedoch die Paradigmen zu ME-CFS (keine eigene Leitlinie – nur ein Unterpunkt von „Müdigkeit“ oder quasi durchscheinend bei PostCovid – noch nicht „ganz aufgeben“. Das scheint auch bei diesen Leitlinien noch unterschwellig durch, wenn: "die hauptsächliche Risikogruppe Frauen sind, Übergewichtige oder mit seelischen Vorerkrankungen"!
- Wer sich genauer dazu informieren will - auch als Grundlage für seinen Arztbesuch...zumindest werden hier Belastungsintoleranz, Atemnöte, Herzprobleme, Konzentrationsprobleme (BrainFog), Schmerzen usw. angesprochen!
S1-Leitlinie Long/ Post-COVID - Living Guideline Version:3.0Stand:05.03.2023Gültig bis:04.03.2024
https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/020-027
S2k-Leitlinie COVID-19 und (Früh-) Rehabilitation Version:4.0Stand:01.12.2023Gültig bis:30.11.2028
https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/080-008
S1-Leitlinie SARS-CoV-2 / Covid-19 Informationen und Praxishilfen für niedergelassene Hausärztinnen und Hausärzte
https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/053-054...Aber hier geht es mehr für den akuten Verlauf einer aktuellen Coviderkrankung
- Also obwohl ME-CFS die schwerste Form von Post-Covid darstellt (lt. Frau Prof. Dr. Scheibenbogen von der Berliner Charité) bleibt es weiterhin - als Unterpunkt, Nebenpunkt und immer irgendwie relativiert.
Zumindest aber geben diese neuen Leitlinien, Ärzten - die wollen oder das Wissen dazu haben, die Möglichkeit auch offiziell dem Patienten anders zu begegnen, verschiedene Untersuchungen einzuleiten und im besten Falle auch symptomorientiert zu behandeln.
Inwieweit - insbesondere die Postexertionelle Malaise (PEM) - massive (zeitlich versetzte) Zustandsverschlechterung auch nach geringfügiger Belastung (Stehen, Gehen, Sitzen, Reden, Denken, Sinneseindrücke) wirklich mitberücksichtigt wird:
- Im Wartezimmer
- Beim Arztgespräch
- Bei den Untersuchungen
- Bei der stationären Unterbringung
- Bei der ambulanten Versorgung
- Bei Hausbesuchen oder Telemedizin
- Bei der Begutachtung
bleibt natürlich noch abzuwarten!
- Schwierig bleibt auch weiterhin - ob wirklich korrekt diagnostiziert wird und Fehlbehandlungen - wie insbesondere aktivierende Reha (wer entscheidet, was die individuelle Belastungsgrenze eines Erkrankten ist?) in Zukunft weniger werden!
Bleibt jetzt zu hoffen, dass die dazugenommenen Fragen im Anamnesebogen der Müdigkeitsleitlinie, zum Beispiel, hier mehr Trennschärfe ermöglichen!
- Auch der gemeinsame Bundesausschuss G-BA befasst sind nun (endlich)mit ME-CFS bzw. hier benannt als "Erkrankungen ähnlicher Symptomatik" zu PostCovid)
So ist die Erstfassung der neuen, vom Gemeinsamen Bundesausschuss G-BA beschlossenen Long-Covid-Richtlinie veröffentlicht. Sie soll die Versorgung von Menschen mit Long COVID strukturieren und somit verbessern. Dabei übernehmen vor allem Hausärztinnen und Hausärzte die Koordination von Diagnostik und Therapie.
Die Richtlinie muss noch vom Bundes Gesundheitsministerium 2024 rechtlich geprüft werden bevor sie in Kraft tritt.
Die Richtlinie ermöglicht es dem Arzt jetzt (der sich auskennt und willig ist)...ein breites Spektrum von Patienten miteinzubeziehen.
https://www.g-ba.de/downloads/39-261-6374/2023-12-21_LongCOV-RL_Erstfassung.pdf
Lt. der Regelung erfolgt in der Anamnese auch die Erfassung von:
- Häufige Symptome, Zeitpunkt des Auftretens und Dauer einschließlich Fatigue, Belastungsintoleranz (PEM), orthostatische Intoleranz (OI), Schmerz, Schlafstörungen, Impfstatus aber auch psychischer Status
- Ausführlicher körperliche + neurologische Untersuchung
- Erfassung einer möglichen orthostatischen oder eines posturalen Tachykardiesyndroms (POTS).
- Durchführung notwendiger Differenzialdiagnostik,
- Information, Aufklärung, Beratung, Betreuung der Patienten
Insbesondere beim Vorliegen einer Belastungsintoleranz mit PEM, ist auf Einhaltung der individuellen Leistungsgrenzen zu achten. Bei allen Verordnungen sollten Besonderheiten wie PEM, ausgeprägte Reizempfindlichkeit oder eingeschränkte Mobilität ausdrücklich vermerkt werden.
Hoffentlich ist (wird) das so und wird so umgesetzt!
Im Falle von PEM sollte die Möglichkeit der aufsuchenden und telemedizinischen Umsetzung der Verordnung geprüft werden.
📌Und…meine Frage…woher kennen sich jetzt die Ärzte aus mit POTS und PEM und können und wollen Sie die benötigte Zeit für die Anamnese sich jetzt nehmen?
Denn:
Fatigue ist keine Müdigkeit
PEM (Postexertionelle Malaise) ist keine Antriebsminderung
POTS - ist keine Angststörung
ME-CFS ist keine F-Diagnose
Wer sich informieren will:
Hier mehr zu PEM
https://www.mecfs.de/was-ist-me-cfs/pem
Hier zu POTS bzw. Orthostatische Intoleranz/Dysregulationen (OI)
https://www.mecfs.de/was-ist-me-cfs/orthostatische-intoleranz/
Weitere Informationen zur Diagnostik von ME-CFS von der Berliner Charité:
https://cfc.charite.de/fuer_aerzte
Und bei Kinder-und Jugendlichen:
https://www.muenchen-klinik.de/krankenhaus/kinderheilkunde-jugendmedizin/spezialgebiete-kinder-klinik/chronische-fatigue
Noch nutzen Ärzte jedoch leider andere Leitlinien - solange in ihrer Wahrnehmung ME-CFS eine psychische oder psychosomatische Erkrankung ist.
- (Befindet sich derzeit - 2024 in Überarbeitung) An S3 Leitlinie Umgang mit Patienten mit nicht spezifischen, funktionellen und somatoformen Körperbeschwerden, (noch gültig bis Sommer 2023) AWMF Reg. Nr. 051001 https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/051-001l_S3_Funktionelle_Koerperbeschwerden_2018-11.pdf
- S3Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression, Neufassung z. Teil seit 2022 - einige Kapitel sind noch in Überarbeitung
https://www.leitlinien.de/themen/depression/version-3
Da viele ME/CFS und auch Post Covid Betroffene noch immer mit Depression fehldiagnostiziert werden, ist diese Leitlinie nicht unerheblich für die weitere Prognose im Krankheitsverlauf - da bei Depression Aktivierung und Psychopharmaka die "Mittel der Wahl" sind...
https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/020-027
- Weitere Präzisierungen wären auch dringend notwendig, so auch in den Leitlinien der deutschen Rentenkassen oder der Punkteverteilung zum Erhalt eines Behindertengrades oder zur Einstufung bei der Pflegekasse!
Es bleibt auch zu hoffen, dass der neue Unterpunkt der Müdigkeitsleitlinie - "die Rehaempfehlungen" für die erkrankten Menschen mit ME/CFS bei bestehender Post-Exertionaler Malaise (PEM) oder Pots und andere Dysautonomien endlich berücksichtigt werden! Um die Betroffenen nicht weiter zu schädigen!
- Mehr zu den Folgen – Einordnung Psychosomatik und in Folge Aktivierungstherapien, auch im Zusammenhang mit Reha hier unter:
https://lebenszeit-cfs.de/reha.html
Und zu ME/CFS - welche schwerwiegenden Folgen eine Psychopathalogisierung der ME-CFS und PostCovid Erkrankten nach sich zieht, hier:
https://lebenszeit-cfs.de/me-cfs-psychiatrisierung.html
Leitlinien sollen eigentlich:
„...ihre Anwender bei ihren diagnostischen und therapeutischen Entscheidungen unterstützen. Um vor allem mehr Lebensqualität und Funktionalität für die Betroffenen, mehr beiderseitige Behandlungs-Zufriedenheit, eine sinnvollere Nutzung von Ressourcen und dadurch nicht zuletzt bessere gesundheitspolitische Rahmenbedingungen zu erreichen.“
Leitlinien können aber auch:
- den Blick für den Patienten und seine Beschwerden verstellen
- Wichtige Zeit und Ansätze im Rahmen von ME/CFS verstreichen lassen
- Zu Fehldiagnosen und Fehl-Therapieempfehlungen, sowie zu unterlassenen hilfreichen Behandlungen führen
- Die Eigenwahrnehmung des Patienten in Frage stellen und sogar abwerten, sowie Stigmatisierung und Diskriminierung verfestigen
Noch immer gibt es jedoch Hinweise auf ME-CFS auch in anderen Leitlinien - die postinfektiöse Erkrankungen noch immer in die sogenannten F-Diagnosen einordnen (trotz der anderweitigen Zuordnung im ICD und der WHO seit 1969)
So zum Beispiel:
S3-Leitlinie: Umgang mit Patienten mit nicht spezifischen, funktionellen und somatoformen Körperbeschwerden. Auf immerhin 243 Seiten dargelegten Leitlinie, wird dem Arzt nahgelegt wie er mit Patienten umgehen soll, die mit „funktionellen“ (Vormals psychosomatischen) Beschwerden zu tun haben.
https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/051-001l_S3_Funktionelle_Koerperbeschwerden_2018-11.pdf
- Hier findet sich CFS unter: Ausgeprägten somatoformen Störungen, den neu definierten körperlichen Belastungsstörungen („somatic symptom disorder“, „bodily distress disorder“), so genannten funktionellen Syndromen (z. B. Fibromyalgiesyndrom (FMS), Reizdarmsyndrom (Irritable Bowel Syndrome, IBS), Chronisches Erschöpfungssyndrom (Chronic Fatige Syndrome, CFS), wieder.
In dieser Leitlinie wird dem Patienten unterschwellig wie direkt „aufrechterhaltende Faktoren“, wie Krankheitsgewinn, Zuwendung, Abgrenzung oder gar Machtausübung, zugeordnet.
Zitat…“ Aufrechterhaltenden Faktoren, die die Beschwerden daran hindern, wieder zu verschwinden bzw. ignoriert oder bewältigt zu werden, und die dadurch oft ihre Persistenz, ihre Chronifizierung und damit erst ihren Krankheitswert bedingen“…
Die Ärzte werden hier vor einer Überdiagnostik gewarnt. Den Patienten Neigung zum Ärztehopping unterstellt.
In der Realität eher das Gegenteil….Freunde und Bekannte ziehen sich zurück, Alltag kann kaum mehr bewältigt werden – liebgewonnenes muss aufgegeben werden…die Existenz ist gefährdet…die bisherige Stellung im Leben nicht mehr ausfüllbar. Und für schwerer Betroffene ist es gar nicht mehr möglich einen Arzt aufzusuchen.
Hier schädigen frühzeitig Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen den weiteren Verlauf der Erkrankten! Den ME-CFS Betroffenen werden zudem wichtige Informationen vorgehalten was ihnen - im jeweiligen Stadium der Erkrankung hilfreich und nützlich wäre und was schädigend sein kann. Weiterhin führen Aktivierungstherapien in Rehas zu einer starken und oft leider langfristigen Verschlechterung - körperlich und psychischer Natur...denn hier erfährt der Betroffene einen Ausnahmezustand und einen extremen Widerspruch - zwischen der Hoffnung...hier wird mir geholfen...und...das hier nimmt mir Stück für Stück weiter mein Leben! Traumatisierungen durch ärztliche Behandlungen, Umgang und Therapien sind oft die zusätzlich belastende Folge davon!!! Stichwort hierzu: Medical Gaslighting!
Die Folgen der sozialen Ausgrenzung, ihre prägenden Erfahrungen im medizinischen und sozialen System, schildern hier eindrücklich und klar all jene Menschen - die von ME-CFS Betroffen sind und ihre Geschichte mitgeteilt haben. Hier sind Namen, Geschichten, Biografien: www.kudoboard.com/boards
...denn leider erfahren genau dies auch PostCovid Erkrankte und inzwischen auch PostVac Erkrankte!
Trotzdem geistert weiter in den Köpfen vieler Ärzte Worte wie: Scheinassoziationen, selbsterfüllende Prophezeiungen...und leider nicht nur dort - sondern tatsächlich in den Leitlinien zu finden!
Aber gerade
- die Betroffenen selbst treiben sich bei Beginn der Erkrankung ...immer wieder an oder in den Crash mit unabsehbaren langfristigen Folgen!
Eigentlich: Ärztinnen und Ärzte haben ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihnen bei ihrer Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen. Sie haben dabei ihr ärztliches Handeln am Wohl der Patientinnen und Patienten auszurichten.(Wörtlich DEGAM)
- Das geht aber nicht wenn es kaum Infos und Weiterbildungen bei den Ärztekammern oder in der Ausbildung der Ärzte gibt, bzw. die vorhandenen nicht genutzt werden! Dann wird immer nur wiederholt was schon vorher „praktiziert“ wurde… und auch die geforderte „Qualifikation“ unter der Beachtung des „anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse“…sollte vielleicht mit "neuesten und internationalen"…ersetzt werden.
Mediziner*innen die sich informieren wollen - können dies über die Berliner Charité oder auch in der Onlinefortbildung der deutschen Gesellschaft ME/CFS in Zusammenarbeit mit ihrem ärztlichen Beirat tun.
- Auch eine Unterscheidung zum gängigen Bild der Depression ist dringend erforderlich. Nach wie vor werden Neu-Erkrankte zum Psychiater oder Neurologen geschickt!
Im Anamnesebogen der "Müdigkeitsleitlinie" sind Unterscheidungsfragen zur Depression jetzt zu finden, so Ärzte diese denn nutzen wollen.
- Das genaue Hinhören und Ernstnehmen des Patienten – der Mut…altes Denken zu Verlassen und auch das Annehmen…das Fehler gemacht wurden und noch immer werden!
In der Bundestagsdebatte im Jan. 23 wurden die Ärzte dazu aufgefordert sich zu informieren und bei "Unwissenheit" nicht einfach den einfachen Weg der Psychosomatisierung zu gehen, denn dieser schädigt die Betroffenen nachhaltig!
Trotz der auch politischen Anerkennung von der Arbeit der Berliner Charité mit Frau Prof. Dr. Scheibenbogen mit dem Bundesverdienstkreuz (2022) für ihre Pioniersarbeit und der einzig weiteren Klinik in München für an ME/CFS erkrankten Kinder und Jugendlichen, der EU-Resolution (2020), des Koalitionsvertrages (2021), der Veröffentlichung der NICE-Guidline (2021), hat sich faktisch für die ME/CFS Betroffene in ihrem Alltag noch nichts geändert.
Jede(r) Einzelne kämpft weiter darum medizinisch und sozialrechtlich nicht alleingelassen zu werden - Familien sammeln Spenden um ihre erkrankten Kinder zu versorgen (!) Wie kann das sein?!
Denn nach wie vor - wie es schon 2020 die europäische Kommission gesehen hat:
...besteht (leider noch immer) ein hohes Risiko sozialer und medizinischer Ausgrenzung der von ME/CFS Betroffenen und inzwischen auch der PostCovid Erkrankte.
Und wünschte daher dass:
- Durch Sensibilisierung und zusätzliche Finanzierung in der Forschung, die Stigmatisierung der Betroffenen durch den fehlenden Wissensstand in der Medizin abgebaut wird.
- Eine koordinierte und umfassende Datenerhebung zu dieser Krankheit innerhalb der Mitgliedstaaten und fordert eine verpflichtende Berichterstattung in allen von ME/CFS betroffenen Mitgliedstaaten;
Hier die Seite des Europaparlaments mit allen wichtigen Punkten ihrer Erläuterungen:
https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/B-9-2020-0186_DE.html
Und hier die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS:
https://www.mecfs.de/europaeisches-parlament-verabschiedet-resolution-zu-me-cfs/
Durch den sprunghaften Anstieg von ME-CFS Erkrankte (die schwerste Form von PostCovid) durch die Pandemiezeit – kann nun weder die Politik, noch die Medizin so vehement „wegsehen“, wie sie es all die Jahre zuvor getan hat!
Und auch das Minderbewerten des Gesundheitssystems - indem gewinnorientiertes Denken - anstelle patientenzentriertem Vorgehen den Vorrang hat - hat nicht dazu beigetragen, die im Gesundheitswesen Tätigen zu unterstützen oder mehr Raum für bessere Versorgungsstrukturen zu schaffen!
Um auf die Situation von ME zurückzukommen - hier bedarf es an
vielen Stellwerken Veränderungen!
...damit auch von ME/CFS Betroffene Menschen ihr Recht auf Teilhabe, adäquate medizinische Versorgung und gesellschaftliche, wie soziale Anerkennung erhalten....nach Jahrzehntelangem "im Stich gelassen werden" - "Abwertung" und Fehlbehandlung"!
Wie hier in einer Public-Health-Studie anschaulich wiedergegeben:
Habermann-Horstmeier L, Horstmeier LM. Die ärztliche Wahrnehmung von ME/CFS-Erkrankten (myalgische Enzephalomyelitis/chronisches Fatigue-Syndrom) als „schwierige Patienten“. – Eine vorwiegend qualitative Public-Health-Studie aus Patientensicht, Prävention und Gesundheitsförderung 2023; Publikationsdatum:29 August 2023;
https://doi.org/10.1007/s11553-023-01070-3